Mia Strobel – Innen und außen – Visionen zum Thema „Wasser und Landschaft

Von Dr. Martina Kitzing-Bretz, Kunsthistorikerin


Wie lange wollen Sie noch beim ersten Schritt bleiben?“, ist als Frage von Joseph Beuys überliefert. Während seines gesamten künstlerischen Schaffens hat sich der Künstler und Pädagoge für Humanität in der menschlichen Wirklichkeit eingesetzt. Ganz wesentlich für die positive Veränderung einer unmenschlichen Realität war für Beuys die Wiederherstellung der verloren gegangenen Einheit von Natur und Geist, von Kosmos und Intellekt. Dafür hat er sich in seinem Leben und Werk eingesetzt, und er hat mythische und magisch-religiöse Zusammenhänge in seine Aktions- und Objektkunst mit einbezogen.

Dieser künstlerische Ansatz und diese Lebensanschauung des Jahrhundertkünstlers Beuys entsprechen dem Leitgedanken von Mia Strobel, auch wenn die Künstlerin die Suche nach der verlustigen „Einheit von Natur und Geist“ in ihrer Malerei ganz anders formuliert.

Der Ausstellungstitel „Innen und außen“, mit dem diese Ausstellung von gemalten Visionen zum Thema „Wasser und Landschaft“ im Haus der Diakonie überschrieben ist, gibt schon einen ersten Hinweis auf diesess Denken und Fühlen der Künstlerin hinsichtlich der menschlichen Existenz in der Natur.

In 26 ausgestellten Bildern beschreibt Mia Strobel ihre Gedanken und Gefühle mit dem Motiv der Wasserlandschaft und anderer Naturlandschaften.

Ihre Werke stellen somit Seelenlandschaften dar, und ihr Geist und ihre Seele werden in den Landschaftsbildern reflektiert. Wie das Licht, das sich auf den Wasserflächen spiegelt. Das Bild mit dem Titel "Herbstsee" im Eingangsbereich des Hauses der Diakonie beschreibt das Thema der Lichtspiegelungen, das in ihren Arbeiten eine immer wieder kehrende Rolle spielt. In dem ein Meter auf ein Meter großen, also quadratischen Leinwandbild, verbindet sich das Licht mit der Farbigkeit des Herbstes und bestimmt als Spiegelung auf der Wasseroberfläche des Sees den Ausdruck des Bildes.

Gemeint ist der Breitenauer See, dem Mia Strobel eine ganze Reihe von Bildern gewidmet hat und der sie auch jetzt noch immer wieder zu ihren Wasserlandschaften inspiriert. Geboren 1952 in Oberschlesien, lebt die Künstlerin heute in der Gemeinde Obersulm, auf deren Gebiet sich der See befindet. So hat sie Gelegenheit, den Stausee und seine Landschaft im Tal der Sulm im Wechsel der Jahreszeiten zu betrachten und ihre Eindrücke der unterschiedlichen Naturstimmungen in ihrer Malerei wiederzugeben.

In den Darstellungen verbinden sich Licht und Farbe zu visionären Kompositionen, in denen Natur und inneres Erleben der Künstlerin, eben „Innen und außen“, zusammenklingen. „Der Blick in die Natur ist ein Blick in den Spiegel der individuellen Seele“, sagt sie über ihre Landschaftsbilder und Seelenlandschaften.

Die Landschaftsmalerei von Mia Strobel und ihre Wasserlandschaften interpretieren den Natureindruck und können die Vorgaben der Natur so weit reduzieren, dass die Bilder mit wenigen Angaben der Landschaft auskommen. So geschehen im dem ausgestellten Bild „Wechselspiel II“, das eine ultramarinblaue Fläche mit einem weißlichen, ovalförmigen Kreis zeigt. Die Ränder der intensiv blauen Farbfläche sind in einem dunkleren Farbton des Blaus gehalten. Trotz der Reduzierung und trotz der weitgehenden Abstrahierung vom Naturmotiv, das als Wasseroberfläche, in die ein Stein gefallen ist und der seinen Kreis gezogen hat, nur noch erahnbar ist, lässt das Bild nichts vermissen.

Dafür sorgt die Intensität des Ultramarinblaus, das Mia Strobel als reines Farbpigment auf eine Schicht von Gouache-Farbe aufgetragen hat. Kein Bindemittel längt also die Wirkung des tiefen Blaus an, das in seiner Reinheit auf den Betrachter wirken kann. Das Ultramarinblau begegnet in der Ausstellung noch einmal in dem Gouache-Gemälde mit dem Titel „Atmosphäre I“, in dem helle und dunkle, diagonale Streifen, die an einen schrägen Lichteinfall durch ein spiegelndes Glasfenster denken lassen, die monochrome Farbfläche des Blaus durchziehen.

In beiden Bildern sind die aufgehellten Bildpartien von der Künstlerin mit feinem Schleifpapier aus der deckenden Farbschicht herausgearbeitet worden. Sanft und kreidig setzen sich damit die freigelegten Partien der unteren Farbschichten von den darüber liegenden Tönen ab.

Das Ultramarinblausteht für das mineralische Blau, das in seiner natürlichen Beschaffenheit aus dem Halbedelstein Lapislazuli gewonnen wird, in dem der Stein zermahlen wird. Das gewonnene Pulver ist sehr kostbar, und so wird Ultramarin heute hauptsächlich künstlich hergestellt.

In der europäischen Kunstgeschichte spielte es eine große Rolle in der mittelalterlichen Tafelmalerei, und auch in der italienischen und niederländischen Renaissancekunst wurde das blaue Farbpigment sehr geschätzt. Als neben Gold teuerste Farbe diente es als würdevoller Farbton für den Mantel der Maria, und es symbolisierte den Himmel, in den die Mutter Gottes aufgenommen wurde.

Gerade wegen seiner Tiefe übt Ultramarin eine große Faszination aus, und bis heute nutzen Künstler wie Mia Strobel den blauen Farbton, um ihrer Malerei die Weite des Himmels und des Wassers zu verleihen.

Das Thema Landschaft in der Kunst von Mia Strobel kann auch themenbezogen sein: So hat die Künstlerin, die Mitglied im Künstlerbund und Kunstverein Heilbronn ist, mehrere Bilder zum Ausstellungsthema „Heimat“ als Jahresausstellung des Künstlerbunds von 2014 in den Räumen des Kunstvereins in der Kunsthalle Vogelmann in Heilbronn beigetragen. Darunter das in der Ausstellung im Haus der Diakonie vertretene, mit Gouachefarben gemalte Leinwandbild mit dem Titel „Nicht wo du die Bäume kennst, wo die Bäume dich kennen, ist Heimat.“

Der Bildtitel zitiert ein russisches Sprichwort als Lebensweisheit zur Heimatthematik, und passend dazu gibt die Künstlerin in ihrem Bild einen Ausschnitt eines Walds von Bäumen wieder, wie er als Teil das Ganze der endlosen Birkenwälder der russischen Tundra vertreten könnte. Doch der abstrahierte, lichtdurchflutete Waldausschnitt aus Grüntönen und parallelen Strukturen verkörpert in erster Linie das persönliche Gefühl der Malerin von Heimat, das sie empfindet, wenn sich die Sonnenstrahlen einen Weg an den hohen Stämmen der Bäume vorbei bahnen.

Weitere themenbezogene Arbeiten in der Ausstellung „Innen und außen“ sind im Zusammenhang mit dem Thema „Reisen“ als Finale-Regionale-Ausstellung 2013 im Kunstverein Heilbronn entstanden. Den beiden Bildern ist ein Spruch des Schriftstellers Jean Paul einbeschrieben, der lautet „Nur Reisen ist Leben, wie umgekehrt das Leben reisen ist.“ Zu der gestückelten Reisewirklichkeit einer Collage zusammengesetzte, eingeklebte und übermalte Drucke von Fotografien machen Mia Strobels große Leidenschaft des Reisens deutlich.

Von ihren jährlichen Reisen in verschiedene Länder der Erde zeugen auch ihre in der Ausstellungsvitrine ausgelegten Skizzenbücher und die von dort mitgebrachten Pigmente ihrer Bilder, die sich pudrig über ihre Bildflächen legen und mit ihrer kristallinen Struktur das Licht reflektieren.

So entstehen in ihrer Malerei die Farbreize beispielsweise der Roten Erde, die sie von ihrer Reise in das Land Costa Rica mitgebracht hat oder des Erfurter Blaus, das von der Waid-Pflanze stammt und für den charakteristischen Blaudruck verwendet wurde. Das Pigment des Blaus stammt von ihrem Besuch der Stadt Erfurt, deren Stadtbild heute noch von dem Handel mit dem Färberwaid geprägt ist.

In dem in den Räumen der Diakonie gezeigten Bild „Verwurzelt“ kombiniert sie das costaricanische, roterdige Farbpigment mit aschigem Schwarz zu einem Querschnitt des Erdbodens, in dem Pflanzen wurzeln, wachsen und die Oberfläche des Bodens durchstoßen. Zugleich deutet sie mit dem Rot das feurige Magma im Inneren der Erde an, das sich als dunkles Gestein zur Erdkruste verdichtet.

Das Mehrdeutige und Offene der Bilder von Mia Strobel dokumentiert die Symbolhaftigkeit ihrer Malerei, die über das Naturmotiv hinaus auf ihr Seelenleben und ihre persönliche Interpretation von Natur verweisen. So verwendet die Künstlerin auch gern ein quadratisches Bildformat, das nach ihren eigenen Worten „Distanz zur Realität schafft“. „Das Quadrat fokussiert und entspricht nicht unserer gewohnten Sehweise“, erläutert sie ihre Vorliebe für das im Zusammenhang mit horizontaler Landschaftsmalerei unübliche Bildformat.

Auch ihre Malerei auf handgeschöpftem Papier, das die trockenen Gouachefarben anstelle von Leinwand grob strukturiert, weist mitunter die quadratische Form auf wie in dem Bild „Winterweiß“ oder in den beiden Bildern „Verletzungen“. In dem Bilderpaar hat sie den Papiergrund in feuchtem Zustand eingeritzt und dadurch die Farben der unteren, übermalten Farbschichten wieder hervorgeholt. Die Ritzungen des Papiers oder - wie der Bildtitel lautet - „Verletzungen“ stellen ein Sinnbild des Umgangs des Menschen mit der Natur dar.

Und so bezeugen die Bilder von Mia Strobel einen spannenden Grenzgang der Malerin zwischen Wirklichkeit und Fantasie, zwischen Naturalismus und Symbolismus, zwischen figürlich und abstrakt.

Die Künstlerin begründet mit folgenden Worten das Thema Landschaft in ihrer Kunst als Metapher des Lebens: „Alles unterliegt der Veränderung, die Landschaft ist Anfang und Ende. Ich suche und sehe etwas Bestimmtes in der Landschaft und in der Natur, verweigere aber jede Festlegung. Ich akzeptiere das Ungewisse und Unerklärliche.“